SECHZIGMÜNCHEN.
 

Die Neuen: Ein Sixpack für die 3. Liga – Teil 4: Türkgücü München.

Türkgücü München ist der erste von Migranten gegründete Fußball-Verein, der den Sprung in die 3. Liga geschafft hat. 

Zwei Absteiger, vier Aufsteiger: Die „beste 3. Liga“ bekommt in der Saison 2020/2021 ein neues Gesicht, hat aber an Attraktivität nichts eingebüßt und ist noch oberbayerischer geworden. Wir stellen Euch die sechs neuen Klubs – VfB Lübeck, 1. FC Saarbrücken, SC Verl, Türkgücü München, Dynamo Dresden und SV Wehen-Wiesbaden – nacheinander vor.

Türkgücü München ist der erste von Migranten gegründete Fußball-Verein, dem der Sprung in den bundesweiten Profi-Fußball gelang. In den 1980er und 1990er Jahren war Vorgänger SV Türk Gücü schon einmal eine große Nummer in München, als der Klub mit einer bunt gemischten Mannschaft voller Talente aus Nigeria, Australien, Serbien, Deutschland und der Türkei in der damals drittklassigen Bayernliga neben den Löwen zum Publikumsmagneten avancierte und im Dantestadion zu den Heimspielen mehrere tausend Zuschauer begrüßte.

Für Aufsehen sorgte auch ein junger Brasilianer mit Namen Cacau. Zwar wurde der spätere deutsche Nationalspieler nicht beim Bolzen im Ostpark entdeckt, wie es gerne erzählt wird. Seine Version ist weit weniger romantisch. „Ich kam aus Brasilien, stand mit einem Köfferchen am Bahnhof und wusste nicht so richtig, wohin. Mein Berater fragte alle Klubs in München an. Ich musste ja einen Arbeitsplatz nachweisen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.“ Er fand ihn in der Saison 2000/2001 beim damaligen Landesligisten. Sonst wäre sein Traum vom Berufsfußball schnell wieder geplatzt gewesen. Doch auch er konnte den Abstieg nicht verhindern. Anschließend folgte die Insolvenz.

Der Nachfolgeverein fristete lange ein unscheinbares Dasein. Bis Anfang 2016 mit Hasan Kivran ein erfolgreicher Geschäftsmann einstieg. Er betrieb das Leasing-Unternehmen Mobility Concept, das er vor zwei Jahren verkauft hat und gründete die „HK Erste Vermögens- und Beratungs-GmbH“. An der ersten Mannschaft, die mittlerweile in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert ist, hält sein jetziges Unternehmen HK 99 Prozent der Anteile. Um die 50+1-Regel im deutschen Fußball nicht zu verletzen, beließ er die Stimmrechte komplett beim Verein. Dieser profitiert von einem Sponsorenpool mit Unternehmen wie Gazi, FTI oder dem Versicherungsmakler Aon, ehemals Trikotsponsor von Manchester United.

Kivran wurde anfangs wegen seiner Ambitionen belächelt, doch schnell lehrte Türkgücü die Konkurrenz das Fürchten. Dank eines prall gefüllten Portemonnaies. Insbesondere vor einem Jahr, nach dem zweiten Aufstieg in Folge, ging der Präsident schließlich in die Vollen. Erfolgstrainer Andreas Pummer wurde aufgrund einer fehlenden Lizenz trotz seiner Erfolge zum Co von Ex-Löwen-Coach Reiner Maurer degradiert, zudem wurden gleich 24 neue Spieler verpflichtet. Der Erfolg sollte Kivran recht geben. Mit neun Punkten Vorsprung führte Türkgücü die Tabelle der derzeit unterbrochenen Regionalliga Bayern an und wurde deshalb vom Bayerischen Fußball-Verband als Aufsteiger benannt.

Und Kivran griff zu seinem bekannten Erfolgsrezept: Wieder tauschte er das Personal aus. Geschäftsführer und Kaderplaner Robert Hettich, früher Pressesprecher und Teammanager bei den Löwen, wurde schon im Februar durch Max Kothny ersetzt, auf Maurer folgte mit Alexander Schmidt ein weiterer ehemaliger 1860-Coach. Der gebürtige Augsburger trainiert von 18. November 2012 bis 30. August 2013 die Profis in der Zweiten Liga. Zuvor war er acht Jahre Nachwuchstrainer bei den Löwen, bevor er zur Spielzeit 2010/2011 unter Maurer einer von drei Co-Trainern geworden war. Im darauffolgenden Jahr machte er seinen Fußball-Lehrer und übernahm zur Saison 2012/2013 zunächst die U23 in der Regionalliga Bayern, beerbte dann – und hier schließt sich der Kreis – Maurer als Cheftrainer.

Dass man sich mit einem derart aggressiven Vorgehen nicht nur Freunde macht, darüber ist sich auch Kivran bewusst. Sein größtes Problem ist und bleibt die Struktur des Klubs, die weit hinter der sportlichen Leistung hinterherhinkt. Hier besteht gewaltiger Nachholbedarf. Trainiert wird auf der Bezirkssportanlage Perlach-Nord an der Heinrich-Wieland-Straße, direkt neben dem Ostpark. Dort hat der Drittligist noch nicht mal eine eigene Kabine. Die Spinde und die Trainingsutensilien sind in einem Container untergebracht. Darauf befindet sich ein zweiter mit der Geschäftsstelle und dem Trainerbüro. Kunstrasenplatz oder andere Annehmlichkeiten wie Entmüdungsbecken: Fehlanzeige! Das alles entspricht in keinster Weise Profiansprüchen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Stadion. Eigentlich muss jeder Klub eine Heimspielstätte angeben, die ihm uneingeschränkt zur Verfügung steht. Das ist beim Grünwalder Stadion und Türkgücü nicht möglich, weil eigentlich die Statuten des DFB nicht mehr als 50 Partien während einer Saison in einer Arena zulassen. 38 Spiele gehen bereits auf das Konto der Löwen und des FC Bayern München II, die dort seit 2018 bzw. 2019 Drittliga-Fußball spielen.

Angesichts der Stadionnot in München hat der DFB für den Aufsteiger ein Auge zugedrückt. Und so hat Türkgücü als „uneingeschränkte Spielstätte“ die Flyeralarm Arena in Würzburg angegeben. Das löste bei Mitkonkurrent Schweinfurt, der ebenfalls die Lizenzunterlagen für die 3. Liga eingereicht hatte, große Verwunderung aus. FCS-Präsident Markus Wolf sprach von Intransparenz und fühlte sich benachteiligt. Der Verband verwies in seiner Antwort auf die Beispiele Verl und Saarbrücken. Ein zumindest schiefer Vergleich, da beide Aufsteiger über eigene Spielstätten verfügen, die nicht von anderen genutzt werden.

Als weitere Spielstätte wurde neben Grünwalder Stadion und der Würzburger Arena das Münchner Olympiastadion als Ersatzort angegeben. Ob dort aber realistisch in absehbarer Zeit Spiele stattfinden können, bezweifeln viele Insider. Zum einen ist es für die noch übersichtliche Fan-Gemeinde von Türkgücü viel zu groß, zum anderen ist das fast 50 Jahre alte Stadion technisch in die Jahre gekommen.

Sportlich dagegen scheint das Team für das Abenteuer 3. Liga gut gerüstet. Zum jetzigen Zeitpunkt schlossen sich dem Aufsteiger bereits 13 Neuzugänge an. Von den Löwen kam zum Beispiel Defensivspezialist Aaron Berzel, nachdem sein Vertrag ausgelaufen war, vom Karlsruher SC Torhüter René Vollath, vom FC St. Pauli wurde der südkoreanische Verteidiger Yi-young Park ausgeliehen. Der größte Transfercoup gelang Türkgücü aber mit der Verpflichtung von Tom Boere. Der 27-jährige bei Ajax Amsterdam ausgebildete Stürmer war in der abgelaufenen Saison mit neun Treffern immerhin bester Torjäger des künftigen Ligakonkurrenten KFC Uerdingen.

Dagegen gab es keine Einigung mit Aufstiegsheld Kasim Rabihic, der einst für die Löwen-Reserve die Fußballschuhe schnürte. Immerhin war er mit elf Toren und zehn Vorlagen in nur 21 Einsätzen bester Scorer von Türkgücü. Der 27-Jährige das neue Angebot zu reduzierten Bezügen schlichtweg ab. Dagegen verlängerte der ehemalige Bundesliga-Profi Sercan Sararer sein Engagement. Der 30-Jährige war im Winter gekommen, kam aber wegen der Corona-Pandemie nur einmal zum Einsatz. Der aus dem Fürther Nachwuchsleistungszentrum hervorgegangene Dribbelkünstler kam auf seinen bisherigen Stationen bei Greuther Fürth, VfB Stuttgart, Fortuna Düsseldorf und dem Karlsruher SC auf 35 Erst- und 129 Zweitliga-Einsätze. Die 3. Liga ist aber auch für den zwölffachen türkischen Nationalspieler Neuland.

Cacau drückt trotz aller Widrigkeiten aus alter Verbundenheit dem Projekt die Daumen. „Türkgücü ist ein gut geführter Klub mit großen Zielen. Ich bin zuversichtlich, dass dies auch in der 3. Liga respektiert wird“, sagt der Integrationsbotschafter des DFB. „Er ist ein Vorbild für andere von Migranten gegründete Vereine. Sie alle leisten wertvolle Integrationsarbeit, vor allem an der Basis, in den Kinder- und Jugendmannschaften.“ Auch deshalb wünscht er der „türkischen Kraft“ viel Erfolg. „Sie haben es verdient, fair behandelt zu werden.“

DATEN & FAKTEN

Name Türkgücü München
Gründung 2001 (als Türkischer SV München)
Vereinsfarben Rot-Weiß
Stadion Flyeralarm Arena Würzburg (13.090 Plätze)
Social Media Facebook: @Turkgucu.Munchen; Twitter: @turkgucumunchen; Instagram: @turkgucu_munchen
Trainer Alexander Schmidt (seit 01.07.2020)
Letzte Saison 1. Platz Regionalliga Bayern mit 54 Punkten aus 23 Spielen bis zur Unterbrechung (Torverhältnis: 51:20)
Bester Torschütze Patrick Hasenhüttl (13 Treffer)
Bilanz Türkgücü gegen Sechzig Bisher haben beide Teams noch nicht gegeneinander gespielt. Aber der Vorgängerverein SV Türk Gücü duellierte sich gleich mehrmals mit den Löwen. Sechs Mal trafen beide Mannschaften in der drittklassigen Bayernliga (1988/1989, 1989/1990 und 1990/1991) aufeinander. Zweimal schaffte der Migrantenklub ein Remis bei vier Niederlagen (Torverhältnis (2:9). Die letzte dieser Partien fand am 17. März 1991 im Grünwalder Stadion vor 15.000 Zuschauern statt. In der Aufstiegssaison unter Trainer Karsten Wettberg erzielte Bernhard Schmid beim 2:0 einen Doppelpack. Dazu kamen nochmals zwei Spiele im BFV-Pokal. Auch diese verlor Türk Gücü.

KURIOSES
Der SV Türk Gücü München wurde im Jahre 1975 von einer Gruppe türkischer Migranten gegründet. Von 1988 bis 1992 sowie von 1994 bis 1996 spielte die Mannschaft in der seinerzeit drittklassigen Bayernliga und lockte bei Heimspielen bis zu 12.000 Zuschauer ins Dantestadion. Auch im Volleyball war der Verein erfolgreich. Die Männer- und Frauenmannschaft spielte in der Saison 1987/88 jeweils in der Bundesliga. Im Jahre 2001 musste der Verein Insolvenz anmelden, nachdem Präsident und Geldgeber Ergun Bersoy die Zahlungen eingestellt hatte und sich vor den deutschen Steuerbehörden in die Türkei absetzte. Die Nachfolge trat der Türkische SV München an, der 2009 mit dem SV Ataspor München fusionierte. Dieser hatte sich 1981 vom SV Türk Gücü München abgespaltet. Der SV Türkgücü-Ataspor nannte sich dann nach dem Aufstieg in die Regionalliga Bayern im Juni 2019 in Türkgücü München um.

TRANSFERS (Stand: 07.08.2020)
Zugänge:
Marco Raimondo-Metzger (SV Heimstetten), Daniele Gabriele (FC Carl Zeiss Jena), Aaron Berzel (TSV 1860 München), Tom Boere (KFC Uerdingen 05), Fabijan Podunavac (TuS Geretsried U19), Alexander Laukart (FC Den Bosch), Jordaine Jäger (FC Ingolstadt 04 U19), Amani Mbaraka (FC Deisenhofen U19), Yi-young Park (FC St. Pauli/Leihe), Erol Alkan (vereinslos), Stefan Stangl (vereinslos), René Vollath (KFC Uerdingen), Philipp Erhardt (SV Mattersburg)
Abgänge: Julian Kirr (FC Pipinsried), Patrick Hasenhüttl (SpVgg Unterhaching), Yasin Yilmaz (Türkspor Augsburg), Marian Knecht (FC Pipinsried), Marcel Spitzer (TSV Buchbach), Serhat Imsak, Kasim Rabihic, Fabio Leutenecker (alle Ziel unbekannt)

Die Neuen: Ein Sixpack für die 3. Liga – Teil 1: VfB Lübeck.

Die Neuen: Ein Sixpack für die 3. Liga – Teil 2: 1. FC Saarbrücken.

Die Neuen: Ein Sixpack für die 3. Liga – Teil 3: SC Verl.

 

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